Bedarfe von geflüchteten Menschen / mit Migrationsgeschichte und Behinderungen/gesundheitlichen Einschränkungen

Ein Workshop voller Informationen und Anregungen

Von J. Michael Fischell (Dipl.Soz.Wiss.)

Am Dienstag, dem 5. April 2022, fand ganztägig der (digitale) Workshop „Hilfe?? - das können wir nur selber tun! / Gesundheitliche Teilhabe und Hilfe durch Vielfalt und Engagement“ statt. Eingeladen hatte das Bonner Netzwerk Migration, Flucht und Behinderung. Erfreulich viele Organisationen sowie Aktive der Flüchtlings- und Behindertenhilfe, der Migrations- und Sozialarbeit sowie der Selbsthilfe nahmen an der Veranstaltung teil. Ziel des Workshops war ein Austausch, wie Menschen mit Migrationsgeschichte und Geflüchteten mit Behinderungen mehr Inklusion und gesundheitliche Teilhabe ermöglicht werden kann. Zu dem Erfolg des Workshops trugen, neben den sachkundigen und interessanten Referaten, die sehr regen und vorwärtsweisenden Diskussionen, insbesondere in den angebotenen Arbeitsgruppen, bei.

In einem Impulsreferat informierte J. Michael Fischell, der Projektreferent der EMFA (Integrationsagentur) Bonn, über das „Bonner Netzwerk Migration, Flucht und Behinderung“. Zunächst stellte er die bisher beteiligten Akteur*innen und ihre Arbeitsweise in einer Steuerungsgruppe vor, um sodann grundlegende Ziele des Netzwerkes zu erörtern. Insbesondere gelte es, die Lebenssituation geflüchteter Menschen, von Migrant*innen mit Behinderung, zu verbessern und Barrieren abzubauen, hin zu niedrigschwelligen, bedürfnisgerechten Angeboten. Die Aktivitäten des Netzwerkes beinhalten u.a. den fachlichen Erfahrungs- und Aktionsaustausch, Weiterbildung sowie die Förderung von Empowerment und Selbsthilfe.

Ein Schwerpunkt des Impulsreferates lag in der Erörterung von Veränderungsbedarfen an der Schnittstelle Flucht und Behinderung. Genannt seien hier nur beispielhaft:
- viele ungenutzte Kompetenzen und Ressourcen einer Kooperation der Unterstützungssysteme für Menschen mit Behinderungen sowie für Geflüchtete,
- die wachsende Zahl von Geflüchteten mit Beeinträchtigungen / Behinderung(en) und gesundheitlichen Einschränkungen,
- der große Informationsbedarf an Unterstützung und Beratung.

Insbesondere gelte es die Selbsthilfe und den Peer-Ansatz zu stärken. Zusammengefasst: die behinderungspolitischen Paradigmen von Inklusion, Teilhabe und Barrierefreiheit auch für geflüchtete Menschen mit Behinderung wirksam machen.

Wolfgang Buttschardt, Projektreferent Flucht und Behinderung im DRK LV Brandenburg, stellte ausführlich Ergebnisse und Handlungsempfehlungen einer „Bedarfserhebung geflüchteter Menschen mit Behinderung“ vor. Zunächst schilderte er das methodische Vorgehen und die Projektziele dieses gemeinsamen Projektes des DRK-Generalsekretariats und dreier DRK-Landesverbänden. Die Projektziele umriss W. Buttschardt folgendermaßen: -Identifizierung von Versorgungslücken, - Schaffung einer evidenzbasierten, partizipativen Interessensvertretung der DRK- Gliederungen für und mit geflüchteten Menschen mit Behinderungen, - Sicherung von Nachhaltigkeit und Wirkungsorientierung, -Interne und externe Vernetzung, - Verbreitung und Diskussion der Ergebnisse mit Politik, Fachkräften, Verwaltung, Betroffenen.

Sodann referierte er Ergebnisse aus der laufenden Auswertung. Diese berühren u.a. Probleme der Kommunikation und Information, in der Sensibilisierung und Fortbildung von Fachkräften und ehrenamtlich tätigen Personen an der Schnittstelle Flucht und Behinderung, des Aufnahme-Systems, (Ankunft, Erstaufnahme, Landesunterbringung) und in den Kommunen (zum Beispiel die ungenügende Barrierefreiheit in kommunalen Gruppenunterkünften, mangelnder (barrierefreier) Wohnraum, und unzulängliche Vernetzung an der Schnittstelle Flucht, Migration und Behinderung).

Sodann stellte W. Buttschardt zur Verbesserung der Situation eine Reihe von Handlungsempfehlungen vor; nur exemplarisch seihen genannt:
- Partizipation, Empowerment und Selbstvertretung,
- Systematische Identifizierung direkt nach der Ankunft,
- Die notwendigen Informationen bzgl. der Bedarfe der Person müssen der aufnehmenden Kommune rechtzeitig bekannt sein. Menschen mit Behinderung sollen bei diesem Prozess beteiligt und begleitet werden.
- Bereitstellung von geeignetem (barrierefreien ) Wohnraum
- Förderung von sozialräumlicher Vernetzung und kollegiale Beratung,
- „eine Versorgungskette“ von der Identifizierung bis zur Teilhabe.

Das gesamte Referat ist als beigefügte Datei zum Workshopbericht verfügbar.

Karsten Dietze, Referent Advocacy Flucht und Behinderung, im Projekt Crossroads | Flucht. Migration. Behinderung (Handicap International e.V. ) steuerte mit seinen Referat: „Für mich und andere die Welt verändern. Zwischen Selbstvertretung und etablierter Interessensvertretung“ weitere ausgezeichnete Impulse bei.

Der Schwerpunkt seiner Ausführungen war der Bericht über das Projekt „NOW! Nicht ohne das Wir“. In der Selbstvertretung „Now! Nicht ohne das Wir“ sind Geflüchtete mit Behinderung und die Angehörigen von Geflüchteten mit Behinderung vertreten. „NOW! Nicht ohne das Wir“ kämpft für die Inklusion von Geflüchteten mit Behinderung. Sie sollen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben führen.

„NOW! Nicht ohne das Wir“ setzt sich ein
• für Barrierefreiheit und Mobilität,
• für den Zugang zu Informationen und
• für den Zugang zu Leistungen, zum Beispiel im Bereich Gesundheit, Bildung und Arbeit.
Begleitet und unterstützt wird das Projekt von Handicap International.

Nähere Informationen zu „„NOW! Nicht ohne das Wir“ in den beigefügten Dateien zum Workshopbericht: „barrierefrei_Ausblick 2022“ und „HI Crossroads- Selbstverständnis“

Joachim Marx, der Koordinator für Barrierefreiheit der Behinderten-Gemeinschaft Bonn e.V., gab in seinem Impulsvortrag „Hilfsmittel verstehen, akzeptieren und anwenden“ viele gewichtige und praktische Hinweise zu Fragen und Themen wie:

· Was ist ein Hilfsmittel?
· Anspruch und Notwendigkeit von Hilfsmitteln
· Kostenträger + Leistungserbringer
· Wo bekomme ich es her?
· Wie bekomme ich es?
· Versorgungswege...
· Was tun bei Ablehnung (durch den Kostenträger)? / Widerspruchsverfahren
· Anwendung der Hilfsmittel
· Wer ist verantwortlich?

Ausführliche Informationen zum Thema „Hilfsmittel“ in der beigefügten Datei des Vortrages von J. Marx

Nach den Referaten diskutierten die Teilnehmer*innen engagiert in drei Arbeitsgruppen. Durch Rotation bestand die Möglichkeit, an allen drei Arbeitsgruppen teilzunehmen.

Themen der Arbeitsgruppen waren:

· Wie organisieren wir Hilfe und Beratungsangebote? (Hilfsmittel, Fall-besprechungen, Telefonberatung, Nachbarschaftshilfe etc.)

· Wie organisieren wir Kommunikation, Information, Erfahrungsaustausch? (Netzwerkbildung, Bedarfe aus Beratung und Kommune, Weiterbildung, Öffentlichkeitsarbeit)

· „Hilfe?? - das können wir nur selber tun!“: Selbsthilfe - Empowerment - Teilhabe

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen werden u.a. auf der nächsten Sitzung der Steuerungsgruppe des Netzwerkes ausführlich besprochen und in einem weiteren Artikel vorgestellt.